04.11.2023

Beobachtungsplattform Gustavsee

Der Gustavsee entstand Mitte der 1920er Jahren in dem ehemaligen Braunkohle-Tagebau bei Großwelzheim in der heutigen Gemeinde Karlstein. Im Laufe einer wechselvollen Nutzungsgeschichte hat sich der circa 25 Hektar große See zu einem wichtigen Lebensraum für Wasservögel entwickelt. Mit seinem Schilf- und Gehölzgürtel sowie einer im Winter eisfreien Wasserfläche bietet der Gustavsee Wasservögeln und anderen Bewohnern eine zuverlässige Brut-, Rast- und Nahrungsquelle. Naturbeobachtungen an diesem kleinen Paradies waren bisher kaum möglich, da der See komplett eingezäunt ist und meist versteckt hinter Büschen und Bäumen liegt.

Der Naturpark Spessart und die Gemeinde Karlstein haben daher am Westufer des Gustavsees eine neue Beobachtungsplattform errichtet. Diese liegt auf Höhe der Firmenzentrale der BMZ Germany GmbH und kann vom Gehweg der Straße „Zeche Gustav“ aus ebenerdig und barrierefrei betreten werden. Die siebeneckige, asymmetrische Stahlplattform ragt knapp acht Meter in den Böschungsbereich hinein und ermöglicht den Ausblick auf nahezu die gesamte Seefläche. Aufwendig illustrierte Schautafeln stellen einige der am See vorkommenden Vogelarten vor und geben den Besucherinnen und Besuchern Einblicke in die bewegte Entstehungs- und Nutzungsgeschichte des Gewässers (siehe Infobox unten).

Diese Geschichte in kurzen Texten und mit Fotos aus der jeweiligen Zeit darzustellen, war eine von mehreren Herausforderungen, mit denen sich Projektleiter Oliver Kaiser während der dreijährigen Planungs- und Bauzeit konfrontiert sah. Die Recherche von historischen Daten und Bildmaterial, gerade aus der Zeit des Braunkohletagebaus, war sehr aufwendig. Tatkräftige Unterstützung kam unter anderem vom Geschichtsverein Karlstein und von ehemaligen RWE- und VAK-Mitarbeitern, die Bildmaterial aus ihren Archiven zur Verfügung stellten.

Die großformatigen Schautafeln zeigen mehr als 50 detaillierte Abbildungen von Wasservögeln und weiteren Seebewohnern. Gestaltet wurden diese vom Illustrator Matt Jan-Gerard Maassen-Pohlen, der noch ganz klassisch von Hand zeichnet und koloriert. Der Künstler aus der Eifel hatte bereits für frühere Projekte des Naturparks aufwendige Natur-Illustrationen erstellt. Auch bei den Schautafeln für den Gustavsee hat er wieder sein gestalterisches und redaktionelles Talent bewiesen.

Fachliche Expertisen steuerten zudem Michael Neumann und dessen Kolleg:innen vom Landesbund für Vogelschutz bei. Diese erfassen die Vogelfauna des Gustavsees regelmäßig. Sie lieferten die Informationen zu den dargestellten Arten, die in die Beschreibungstexte der Schautafeln einfließen.

Den Bau der Plattform realisierte der Architekt Dirk Appel aus Karlstein, gemeinsam mit der Stahlbaufirma WERK ZWO Ingenieurbau GmbH (aus Großostheim) und dem Bauunternehmen Ball + Böhm (aus Alzenau). Die durch die Corona-Krise und den Ukraine-Krieg ausgelösten Preissteigerungen und Lieferengpässe führten auch hier zu einigen Herausforderungen. Das knapp 120.000 Euro umfassende Projekt wurde nach vier Jahren Planungs- und Bauzeit im Oktober 2023 eröffnet.

Dank der großzügigen finanziellen Zuschüsse in Höhe von circa 88.000 Euro (84.000 Euro Förderung durch das Bayerische Umweltministerium und 4.000 Euro Spende der Stiftung natur mensch kultur aus Aschaffenburg für die Gestaltung der Schautafeln) verblieben für den Naturpark Spessart und die Gemeinde Karlstein (nur) noch ein Viertel der Gesamtkosten.

Information

Geschichte des Gustavsees

Seinen Namen verdankt der See Gustav Müller. Er war Direktor der 1878 eröffneten Seligenstädter Braunkohlegrube „Amalie“ und vermutete auch nördlich des Mains abbauwürdige Lagerstätten. 1882 ließ er bei Großwelzheim erfolgreich Probebohrungen durchführen. Das Frankfurter Chemieunternehmen Cassella erwarb darauf die Schürfrechte und richtete erste kleine Gruben ein. Ab 1902 wurde der Braunkohletagebau ausgeweitet. Am Standort der heutigen Siedlung Kimmelsteich entstand die Zeche Gustav I. Wie im Bergbau üblich, erhielt der Tagebau den Vornamen des Direktors.
Bis zu 18 Meter dick waren die Braunkohleschichten, die zunächst überwiegend in Handarbeit, später mit Baggern abgebaut wurden. 1903 errichtete man am Standort eine Brikettfabrik und das Kraftwerk Dettingen. Dieses versorgte die Zeche mit Strom, ab 1908 zusätzlich die umliegenden Gemeinden und fünf Jahre später sogar die Stadt Aschaffenburg.
Es folgten die Tagebaue Gustav II und III - hier liegt heute der Gustavsee. Der Abraum aus den Zechen wurde unweit zu einem 15 Meter hohen Hügel aufgeschichtet - die heute bewaldete „Kipp“.

Neben dem Abraum musste das einströmende Grundwasser entsorgt werden. Pumpen saugten es aus den Gruben ab und führten es durch Rohre oder Gräben dem Main zu. Gegen die Hochwasser des Mains kamen die Pumpen jedoch nicht an; immer wieder wurde die Zeche überflutet. Weitere Probleme waren Streiks der Grubenarbeiter und die sinkende Rentabilität des Abbaus der Braunkohle. 1925 stellte man den Betrieb in den Gruben Gustav II und III ein. Die Pumpen wurden abgeschaltet, der 40 Meter tiefe Tagebau füllte sich mit Grundwasser - der 25 Hektar große Gustavsee entstand. 1928 übernahm das Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk (RWE) die verbliebene Grube Gustav I; wegen mangelnder Rentabilität legte man sie vier Jahre später still. Das Kraftwerk stellte man 1942 auf Steinkohle um. Neben dem Kraftwerk Dettingen entstand 1958 das erste deutsche Kernkraftwerk. Der Versuchsreaktor nahm nach drei Jahren Bauzeit seinen Betrieb auf und lieferte bis 1985 Strom. 1988 wurde mit dem Rückbau begonnen; er dauerte 20 Jahre. Das Gelände wird seitdem als Gewerbegebiet genutzt.

Ein großer Teil des Sees und der teils mit Schilf bewachsene Uferstreifen (ca. 18 Hektar) wurden 1991 als „Vogelschutzgebiet Gustavsee“ unter Naturschutz gestellt. Vor einigen Jahren wurde von der Gemeinde Karlstein angestoßen, das Schutzgebiet auf die gesamte See- und Uferfläche auszudehnen. 

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